Für die Polizei in Sizilien sind es anstrengende Nächte: Immer neue Boote kommen an und bringen mal Dutzende, mal Hunderte von Flüchtlingen, die man buchstäblich aus dem Mittelmeer gefischt hat. Während einige Polizisten schon ihren Ärger über die Flüchtlingswelle zum Ausdruck bringen, versuchen auch Commissario Montalbano und seine Leute, den Flüchtlingen zu helfen, wo ihnen das nur möglich ist. Und so stehen sie Nacht für Nacht am Hafen und tun ihre Arbeit.
Problematisch ist nur, dass sie tagsüber auch ihre »normale« Arbeit zu erledigen haben. In ständiger Übermüdung schleppen sich die schlecht bezahlten Polizisten durch die Tage und Nächte. Als eine Schneiderin ermordet wird, die Montalbano persönlich kennt, geht man trotzdem mit möglichst viel Elan an die komplizierten Ermittlungen. Wer sollte so eine Tat begehen, wo die betreffende Person doch bei allen Menschen in der kleinen Stadt beliebt ist?
Auch Folge 24 der »Montalbano«-Krimis des sizilianischen Schriftstellers Andrea Camilleri ist wieder gelungen. Der Autor bringt seine bekannten Figuren ein, lässt sie mit ihren Stärken und Schwächen in der Handlung auftauchen und sorgt so dafür, dass die Stammleser das finden, was sie mögen: gutes Essen und Trinken, zeitweise witzige Dialoge, knappe Beschreibungen, ein insgesamt sehr süffiger und leichter Stil.
Im Original erschien der Roman 2016, er wurde also auf dem Höhepunkt einer Flüchtlingswelle geschrieben, die anfangs vor allem Sizilien erfasste. Camilleri verstand sich stets als Schriftsteller, der auch aktuelle politische Themen in seinen Romanen verarbeitete; also bot es sich an, die Flüchtlinge als Hintergrund zu nehmen.
Weil der Autor in dieser Zeit immer mehr erblindete, diktierte er den Roman eher als ihn selbst zu schreiben. Trotzdem gelang ihm eine dichte Erzählung, die mich trotz einiger Schwäche über die gesamte Länge des Werks fesselte.
Während das Thema der Flüchtlinge am Anfang die Handlung bestimmt, tritt es später immer mehr in den Hintergrund. Es ist zwar klar, dass jede Nacht ein neues Boot mit Menschen auf der Insel ankommt, für den Commissario und seine Leute wird aber die Suche nach dem Mörder – oder gar der Mörderin – immer wichtiger. Welche Männer spielen im Leben der toten Schneiderin eine Rolle, woher kommen die dunklen Stellen, die es ihrer Biografie gibt? Kann es sein, dass die Ermordete in früheren Jahren eine große Schuld auf sich geladen hat, für die jetzt jemand seine Rache vollzogen hat?
Das ist tatsächlich auch eine Schwäche des Romans: Das Geschehen verlagert sich zu stark. Und die Auflösung des Rätsels ist am Ende ein wenig platt; das hat Camilleri auch schon wesentlich eleganter hinbekommen. Sicher ist eins: Dieser Montalbano-Krimi ist kein gemütlicher Urlaubsroman, auch wenn der Verlag ihn so zu vermarkten versucht, sondern eine Geschichte, in der es um Moral und Schuld geht – teilweise über viele Jahre hinweg.
Empfehlen kann ich »Das Ende des Fadens« trotzdem. Er liest sich schnell und flott, trotzdem bleiben vor allem am Anfang starke Eindrücke im Gedächtnis. (Kleine Warnung: Wer sich auf die Montalbano-Krimis einlässt, wird schnell den Sucht-Charakter der Reihe feststellen. Man möchte dann mehr davon lesen …)
Erschienen ist der Roman bei Lübbe als Hardcover mit Schutzumschlag. Das Buch ist 303 Seiten stark und kostet 22,00 Euro (das E-Book gibt’s für 16,99 Euro). Mithilfe der ISBN 978-3-7857-2752-2 kann man es überall im Buchhandel bestellen, auch bei Versendern wie dem PERRY RHODAN-OnlineShop. Es gibt auch eine Hörbuchversion, gelesen von Bodo Wolf, die gekürzt ist. Auf der Internet-Seite des Verlags steht eine Leseprobe zur Verfügung.
