Erinnerungen an den Vater, einen Künstler Eine Kolumne von Katja Bruck über Johnny Bruck

22. Mai 2021

Im PERRY RHODAN-Roman »Flug in die Freiheit« (Band 3116, geschrieben von Kai Hirdt), war ein Beitrag von Katja Bruck enthalten – als Teil des aktuellen PERRY RHODAN-Reports. In diesem Text schreibt seine Tochter ihre Erinnerungen an ihren Vater nieder, den PERRY RHODAN-Illustrator Johnny Bruck.

 

Ein unvergessenes Unikum

Um PERRY RHODAN zu »unserem Mann im All« zu machen, mussten seine Schöpfer viel leisten. Dazu gehörte auch Johnny Bruck, von dem bis Band 1799 fast alle Titelbilder stammten.

Mein Vater arbeitete von zu Hause aus. Sprachen wir in der Volksschule über die Berufe unserer Eltern, war ich erstaunt, dass viele Väter tagsüber unterwegs waren. Das gab es bei uns nicht. Dad fuhr oft am frühen Morgen für wenige Stunden zur Jagd, doch zwischen ihr, wenig Schlaf und Essen, war er an sieben Tagen in der Woche an seinem Arbeitstisch zu finden.

Wegen seiner speziellen Arbeitszeiten hatte er sein eigenes Zimmer, in dem er malte und schlief. Niemand hatte Zutritt, selbst den Zugang mit dem Staubsauger untersagte er strikt. Zeitschriften und Papiere lagen chaotisch herum, er wusste jedoch genau, wo etwas zu finden war.

Zum typischen Bild, das mein Vater bei der Arbeit abgab, gehörten die Tasse Kaffee, ein Glas Whisky, die Zigarette in der Hand und die Schottenmütze auf dem Kopf. Er wusste selten, welcher Wochentag gerade war. So kam es schon mal vor, dass er sonntags vor einem Laden stand und sich wunderte, dass geschlossen war.

Dad hatte Spaß daran, mir schon im Vorschulalter ein paar englische Worte beizubringen –  auch einige Schimpfwörter, was meine Mutter nicht so lustig fand. Damit »sein kleines Mädchen« sich wehren konnte, zeigte er mir, wie ich nervige Jungs per Ohrfeige oder Schulterwurf fernhielt. Ich war noch keine fünf, da brachte er mir das Schießen mit dem Luftgewehr bei. Das Zielen auf Walnüsse oder Kirschen war für uns ein großer Spaß.

Gern erinnere ich mich an das gemeinsame Pilze suchen, einige Schottlandreisen oder Ausritte mit Freunden. Wir hatten zwei eigene Pferde. Seit dem Krieg war mein Vater ein leidenschaftlicher Reiter gewesen, und er genoss diese Augenblicke sehr.

Im Sommer fuhren Mutter und ich häufig an die Ostsee. Bei unserer Rückkehr hielt er uns oft stolz eine mit Steinen gefüllte Tüte entgegen – das, behauptete er, sei sein Bauch. Aus Unlust, sich etwas warmzumachen, lebte er in unserer Abwesenheit von Brot oder Suppe.

Meine Eltern hatten einen illustren Freundeskreis. Besuche etwa bei Udo Jürgens, Loriot oder auch der Süßkind-Familie waren für mich ganz normal, doch der »Status« einer Person machte für uns keinen Unterschied. Vater legte Wert auf seine prominenten Bekanntschaften, kümmerte sich aber ebenso um zwei Obdachlose in einer nahen Scheune und versorgte sie mit Lebensmitteln und Kleidung. Sicher auch generationsbedingt hatte er aber eine eigene Einstellung zu Themen, die heutzutage selbstverständlich sind, beispielsweise Homosexualität oder der Kontakt mit anderen Kulturen. Von solchen Dingen – für ihn war das alles obskur und absonderlich – versuchte er stets, mich fernzuhalten.

Auch meine Heirat mit einem vier Jahre jüngeren Mann missfiel ihm: lange Haare, Handwerksberuf, das Alter – für ihn ein »No-Go«. Zwar mochte Vater meinen Mann sehr, immerhin waren beide jagdbegeistert, dennoch sagte er die Trennung »nach spätestens fünf Jahren« voraus. Die erfolgte dann auch – aber ich war diejenige, die ging. Nach Vaters Ansicht sollte ein Mann rund zehn Jahre älter sein als die Frau und einen gut situierten Job haben.

 

Gefährliche Fahrten

Zeitlebens kannte man Johnny Bruck als Rollerfahrer – immer in Jagdklamotten, mit dem Gewehr auf dem Rücken und seiner geliebten Schottenmütze, die er selbst daheim am Arbeitstisch trug. Den Autoführerschein machte er nie.

Von einer Fahrt kehrte er mit einer ungewöhnlichen Fracht zurück: Aus seinem Rucksack ragten nur das Gehörn und Beine eines Rehbocks heraus. Der Bock hatte keine Schussverletzung, zudem hatte Vater kein Gewehr dabei gehabt. Das Tier war aus einem Gebüsch gesprungen, mitten auf den Roller. Ergebnis: ein kaputter Spiegel und ein paar blaue Flecken bei Vater. Der Bock hatte sich jedoch zwei Beine gebrochen und wurde, mangels Schusswaffe, mit dem Jagdmesser erlöst.

Die merkwürdigste Geschichte war aber wohl, als Vater Ende der Achtzigerjahre ins Krankenhaus kam. An diesem Tag wurde ich frühmorgens durch viel Lärm geweckt. Als ich aufstand und nachschaute, war das Haus leer. Alles, was ich fand, waren ein paar Blutstropfen auf dem Boden.

Völlig durcheinander rief ich im Krankenhaus an und bekam, nach langem Bitten, meine Mutter ans Telefon – die mir erzählte, dass Vater sich durch den Fuß geschossen hätte. Er habe sich so sehr über Hundegebell von einem nahen Hof aufgeregt, dass er wütend den Revolver eingesteckt und hingefahren sei. Dort hätte er hektisch versucht, die Waffe aus der Jackentasche zu ziehen. Ein Schuss löste sich und durchbohrte seinen Fuß und die Schuhsohle. Trotz der Verletzung schaffte er es nach Hause, weckte meine Ma, und sie fuhr ihn ins Krankenhaus.

Während sie mir das am Telefon erzählte, hörte ich ihn im Hintergrund schon wieder reden, und ich beruhigte mich etwas. Ob er den Hund nur hatte erschrecken oder erschießen wollen, erfuhren wir nie.

Die Verletzung hielt ihn nicht vom Schaffen ab. Kaum hatte er sein Krankenzimmer bezogen, bat er uns, ihm sein Arbeitsmaterial zu bringen. Manuskripte und Zeichenutensilien wurden um ihn herum drapiert. So saß er tagelang im Bett und zeichnete – einige der so entstandenen Bilder signierte er scherzhaft mit »J. Plasterer«. Nach einer Woche saß er schon wieder am heimischen Arbeitstisch.

1994 musste er nach einem Unfall mit dem Roller erneut ins Krankenhaus. Diesmal waren die Verletzungen jedoch so schmerzhaft, dass ein Arbeiten im Bett nicht möglich war. Als er ein Jahr später einen weiteren Rollerunfall erlitt, wussten wir sofort, dass er die Klinik nicht mehr lebend verlassen würde. Mit schwerem Schädelbruch lag er im Koma und wäre danach ein schwerer Pflegefall geblieben. Mutter und ich waren uns daher einig, dass es für ihn selbst sicher eine Erlösung war, dass er bis zu seinem Einschlafen am 6. Oktober 1995 nicht mehr aufgewacht ist.

Auf jeden Fall bleibt Johnny Bruck nicht nur für meine Ma und mich, sondern für alle, die ihn kannten, ein unvergessenes Unikat – aber auch Unikum. Happy Birthday, Daddy!

 

Katja Bruck

Perry Rhodan 3116: Flug in die Freiheit
Kai Hirdt
PERRY RHODAN DIGITAL
ISBN/EAN: 9783845361161
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Perry Rhodan 3116: Flug in die Freiheit
Kai Hirdt
Pabel Moewig Verlag KG
ISBN/EAN: 9999900006322