PERRY RHODAN und die Exposésteuerung – Teil zwei Kolumne von Christian Montillon über die wöchentliche Ideenarbeit

11. Dezember 2021

Im September 2021 wurde die PERRY RHODAN-Serie bekanntlich sechzig Jahre alt. Zu diesem Anlass erschien ein PERRY RHODAN-Sonderband, der über den Zeitschriftenhandel sowie als E-Book vertrieben wurde. Enthalten war auch ein Artikel von Christian Montillon, einem der zwei Exposéautoren.

Sein Blick auf die eigene Arbeit soll an dieser Stelle dokumentiert werden. Wegen seines Umfangs bringen wir ihn in zwei Teilen: Gestern kam der erste Teil, heute ist es der zweite.

 

Wie fühlt sich ein Exposé an?

Ein gutes Jahr und einige ATLAN-Romane später folgte der Ruf, in der eigentlichen PERRY RHODAN-Serie mitzuschreiben. Ab diesem Moment landeten Exposés auf meinem Schreibtisch, die nicht von Uwe Anton, sondern von Robert Feldhoff stammten.

Und siehe da ... diese Exposés fühlten sich anders an. Nicht notgedrungen besser oder schlechter, einfach anders. Wie kann das sein, und was bedeutet es für den Autor?

Ein Exposé im Perryversum erfüllt bestimmte Aufgaben, dient einem genau umrissenen Zweck. Vereinfacht gesagt: Es legt fest, wie die Geschichte an den vorherigen Band anschließt ... und wie sie endet, so dass der Folgeroman nahtlos anschließen kann. Außerdem skizziert es den Weg dorthin. Es fixiert den Zeitraum, in dem die Handlung spielt, es präsentiert die Hauptfiguren. Und sobald eine Figur nicht nur in einem, sondern in mindestens zwei Romanen mitspielen soll, muss sie im Exposé grundlegend definiert werden, damit alle Autoren mit dieser Figur arbeiten können.

Solche Fakten, Hintergründe und Notwendigkeiten kann ein Exposéautor auf verschiedene Art präsentieren. Und das sollte auch so sein, denn Exposéautoren sind keine Maschinen, die nach strengen Gesetzen auf rein logischer Basis funktionieren, sondern Menschen. Mit individuellen Stärken und Schwächen.

Wenn es um einen Romanautor geht, kann vermutlich jeder Leser diesen Gedanken nachvollziehen. Autor A schreibt eben anders als Autor B. Das trifft auf Exposéautoren jedoch ebenfalls zu. Einerseits gilt das abgeschwächt, denn natürlich ist ein Exposé weitaus nüchterner als ein Roman. Andererseits gilt es umso mehr, weil ein Exposé Grundlagen für den zu schreibenden Roman legt.

Halten wir fest: Exposés können völlig unterschiedlich sein, obwohl sie stets denselben Zweck erfüllen.

Und damit erreichen wir den springenden Punkt. Wie der Autor mit dieser nüchternen, wenig spannenden Grundlage umgeht, liegt in seiner Verantwortung. Er nimmt im Idealfall das Exposé, verdaut die darin angelegte Geschichte und macht sie zu seiner eigenen. Das ist die große Kunst beim Schreiben nach fremdem Exposé.

Ich bin überzeugt davon, dass aus ein und demselben Exposé völlig verschiedene Romane entstehen können. Gute Romane und schlechte Romane. Langweilige Romane und knallige Actionromane (die mancher Leser auch langweilig finden wird). Charaktergetriebene Romane und faktenpräsentierende Romane. Aus ein und demselben Exposé kann ein Agentenkracher oder ein faszinierender Sense-of-Wonder-Band entstehen.

Aber ... darf man das als Autor überhaupt?

Ja, man darf.

Man soll sogar.

Um bei meiner persönlichen Reise zu bleiben: Ich habe über zwanzig PERRY RHODAN-Romane nach Exposés von Robert Feldhoff geschrieben. Nach Feldhoffs Tod übernahm Uwe Anton die Exposéarbeit, und ich habe mehr als dreißig Romane nach seinen Exposés verfasst.

All diese Romane sind meine Romane, und der langjährige PERRY RHODAN-Leser wird sie meist als »typisch Montillon« erkennen, ob er sie nun mag oder nicht. Sind die Romane grundlegend anders, weil die ersten auf Exposés von Feldhoff basieren, die letzten auf solchen von Antons? Ich glaube nicht. Denn ich habe mein eigenes Ding daraus gemacht.

Noch etwas zum Festhalten: Wie der Roman wird, liegt am Autor.

Man kann ein gutes Exposé in einen miesen Roman verwandeln und ein lausiges Exposé in einen brillanten Roman. Kommt das tatsächlich vor? Ja. Weil sowohl der Exposé- als auch der Romanautor Menschen sind, die mal bessere und mal schlechtere Arbeit abliefern.

Aber so sehr der Roman das Werk des Autors ist, gilt doch, dass das Exposé die Grundlage legt. Es ist im Roman verwoben. Es ist nicht mehr sichtbar und doch elementar wichtig. Es kann rot umkleidet sein oder grün, laut oder leise, flüsternd oder schreiend, plakativ oder tiefenpsychologisch.

Mal nimmt man sich größere Freiheiten beim Ausarbeiten, mal nicht. Das ist – zumindest in meinem Fall – auch eine Frage der Erfahrung. Anfangs habe ich jedes Wort im Exposé als in Stein gemeißelt angesehen. Später wurde mir immer bewusster, dass das nur für Teile des Exposés gilt.

Wenn mir als Autor ein besserer Weg für die Figur XY einfällt, der zum selben Ziel führt (oder vielleicht zu einem neuen, das aber dem ursprünglichen Ziel entspricht), spreche ich das mit dem Exposéautor und der Redaktion ab und wähle diesen Weg. Ob er übrigens tatsächlich besser ist, steht auf einem anderen Blatt.

Ob ich diese oder jene Figur in den Vordergrund stelle, liegt an mir als Autor. Ob ich eine neue Figur erfinde, aus deren Sicht ich alles erzähle und interpretiere, was geschieht, liegt ebenfalls an mir als Autor.

Den größten Freiraum habe ich mir stets bei den Exposés zu PERRY RHODAN NEO genommen, die für die ersten hundert Bände Frank Borsch verfasst hat. Mit ihm habe ich jedes Mal ein längeres Gespräch geführt (meistens persönlich in einem netten Restaurant in Mannheim, was für uns beide gut erreichbar war), wir arbeiteten den Kern der Geschichte heraus ... und danach schrieb ich drauflos. Manchmal zehn, zwanzig, dreißig Seiten, ohne dass das etwas mit dem Exposé zu tun hatte. Aber ich bin stets in meiner Geschichte so abgebogen, dass es am Ende passte. Hoffe ich zumindest.

Schließlich kam der Tag, an dem sich in Sachen »Schreiben nach fremdem Exposé« alles änderte.

Heutzutage …

Im Jahr 2012 fiel die Entscheidung: Uwe Anton gibt die Exposéarbeit ab. Neue Exposéautoren werden Wim Vandemaan und ich.

Somit war klar: Ich würde PERRY RHODAN-Romane in Zukunft nach meinem eigenen Exposé schreiben – oder nach einem Exposé, das ich gemeinsam mit Wim Vandemaan erstellt hatte. Denn wir verfassen alle Exposés tatsächlich zu zweit.

Das muss ja einfach sein, dachte ich mir. Die Geschichte habe ich ohnehin genau im Kopf, ehe ich das erste Wort des Romans schreibe.

Spoileralarm: War es nicht.

Ja, die Geschichte stand im Exposé, aber der Vorgang, sie zu einem Roman zu verwandeln, war und ist noch genauso schwer wie früher. Es kostet Nerven, Schweiß und Tränen. Es ist eine mühevolle, schleppende Arbeit, den Funken der Kreativität zu wecken. Und es ist trotzdem die beste Arbeit, die ich mir nur denken kann, die an den besten Tagen locker und leicht von der Hand geht. Vielleicht bin ich ja tatsächlich dazu geboren.

Wir halten fest: Ein eigenes Exposé will und muss genauso in einen Roman verwandelt werden wie ein fremdes Exposé.

Ein Montillon-Roman ist und bleibt ein Montillon-Roman, ob nun Robert Feldhoff, Uwe Anton oder Wim Vandemaan und ich selbst die Exposés verfasst haben. Es ist mein Ding.

Und das gilt für jeden Autor der Serie. Das Motto dahinter könnte man »Individualität erwünscht« nennen. Wir sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen äußerst verschiedener Typen, und das war von Anfang an so. Das zeichnet einen Teil der Einmaligkeit von PERRY RHODAN aus.

Aber wie verwandelt man nun ein Exposé in einen Roman? Das Patentrezept dafür habe ich noch immer nicht gefunden. Es gibt nicht das Schema, das man abarbeitet, die Schritte eins, zwei, drei und vier, und siehe da, der Roman ist fertig. Es ist jedes Mal neu und kreativ, es kostet stets aufs Neue die Mühe eines individuellen Zugangs.

Genau hier liegt übrigens ein großer Vorteil der Exposésteuerung. Denn findet man diesen Zugang einmal nicht (dafür kann es tausend Gründe geben – ich erwähnte es bereits – wir sind alle nur Menschen), bleibt die Notlösung: Man hangelt sich am Exposé entlang. Selbst diese Vorgehensweise kann einen guten, ja sogar sehr guten Roman ergeben. Vielleicht keinen brillanten.

Aber zumindest ich bin ohnehin nicht ständig brillant.

Christian Montillon

 

PERRY RHODAN-Sonderband - Das Heft zum 60. Jubiläum
Redaktion, Perry Rhodan
PERRY RHODAN DIGITAL
ISBN/EAN: 9783845332468
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